Kein kleines Wunder
Beate Hammond war schon eine alte Dame, als sie aus Sydney nach Berlin kam, zum er-sten Mal seit 1939. „Ich war überwältigt. Es war nicht so wie in meiner Erinnerung“, er-zählt die 92-Jährige am Telefon. „Die Atmosphäre ist jetzt ganz anders als damals: viel freier, jugendlicher und moderner.“
Mit ihrer Gastgeberin ging sie am Landwehrkanal in Kreuzberg spazieren, wo sie als klei-nes Mädchen gewohnt hatte. Und wo einst eine Synagoge stand, die ihr Vater, der jüdische Architekt Alexander Beer, 1916 erbaut hatte. In der Reichspogromnacht 1938 hatte Beer mit angesehen, wie seine Synagoge am Landwehrkanal zerstört wurde. Beer wurde ge-zwungen, die Trümmer mit abzuräumen.
Wenig später entschied er mit seiner Frau, die neunjährige Beate in einem der letzten Kin-dertransporte nach England zu schicken. Sie brachten das Mädchen zum Bahnhof Fried-richstraße, es war ein Abschied für immer. Drei Jahre später starb die Mutter an Krebs, 1944 wurde der Vater im KZ Theresienstadt ermordet.
In diesem Frühjahr plauderte Beate Hammett, geborene Beer, mit einer Bekannten. Die erzählte ihr beiläufig von einem Artikel in einer australischen Zeitung, es ging um den Wiederaufbau einer Synagoge in Berlin. „Sie wusste noch nicht einmal von meiner Ge-schichte, es war purer Zufall“, sagt Hammett.
Als 18-Jährige war sie nach Australien ausgewandert, sie heiratete, bekam zwei Kinder, Berlin spielte für sie keine große Rolle mehr; erst spät begann sie, sich mit ihrer Geschich-te auseinanderzusetzen. Vor zwei Jahren veröffentlichte Hammett ein Kinderbuch über ih-re Biographie, sie hält Vorträge, besucht Schulen.
Das Interesse an der alten Synagoge ihres Vaters hat sie dennoch überrascht, selbst in der „Washington Post“ hat sie darüber gelesen. „Ich staune über den internationalen An-klang“, sagt Hammett. Im April schickte sie einen Brief nach Berlin, „damit sie wissen, dass ich existiere“.
Adressat war Raed Saleh, der Fraktionschef der SPD im Berliner Abgeordnetenhaus ist und sich für den Wiederaufbau der Synagoge engagiert. Die Nachricht über das Projekt habe für große Aufregung in ihrer Familie gesorgt, schrieb Hammett. „Ich habe die trau-rigen Überreste der Arbeit meines Vaters gesehen.“ Sie sei überaus dankbar, wenn dem Gebäude nun „ein neues Leben“ gegeben werde.
Deutschland hat die Dresdner Frauenkirche rekonstruiert sowie preußische Stadtschlösser in Potsdam und Berlin. Der originalgetreue Wiederaufbau einer von den Nazis zerstörten Synagoge wäre ein starkes Symbol.
Und ein Politikum: Einen 1938 nicht zerstörten Gebäudeteil, die alte Jugendsynagoge, kann die jüdische Gemeinde nur unter Polizeischutz nutzen. Zu Gottesdiensten ist aus Sicherheitsgründen die ganze Straße gesperrt. Nur wenige Meter entfernt, rund um Kott-busser Tor und Hermannplatz, gibt es zahlreiche Moscheen und muslimische Kulturver-eine. Die jüdische Gemeinde am Fraenkelufer wächst, ist aber winzig im Vergleich zur tür-kischen und arabischen Community von Kreuzberg und Neukölln.
Die Zahl antisemitischer Angriffe nimmt zu, regelmäßig werden im Viertel judenfeindliche Beleidigungen und Übergriffe gemeldet. Raed Saleh, im Westjordanland geboren, sieht sich als Vermittler. Er wäre kein guter Muslim, sagt er, wenn er „Anfeindungen egal gegen-über welcher Religion“ tolerieren würde.
In fünf Jahren könnte der Bau fertig sein. Ein Förderverein soll Anfang September ge-gründet werden; wenn genügend Spenden und öffentliche Mittel zusammenkommen, könnte das Haus zum 85. Jahrestag der Reichspogromnacht eröffnet werden, wiederer-richtet nach den Plänen Alexander Beers. Das Projekt wolle nicht die Geschichte über-schreiben, sagt Saleh, „ganz im Gegenteil“. Ein Kuratorium um Berlins Regierenden Bür-germeister Michael Müller (SPD) begleitet das Vorhaben; Vertreter der Kirchen und eine muslimische Politologin sollen dabei den interreligiösen Dialog fördern.
Fast 80 Jahre nach ihrer Flucht aus Berlin hat Beate Hammett in Sydney die Pläne fürs Fraenkelufer studiert. Ihr gefällt, dass das neue Gotteshaus auch Begegnungsstätte für Menschen aller Glaubensrichtungen und Atheisten sein soll.
„Ich bin zuversichtlich, dass dies der Philosophie meines Vaters entspräche“, schrieb sie in ihrem Brief an Saleh. Wenn der Wiederaufbau zustande komme, wäre es „kein kleines Wunder“.
Zu Hause in Sydney informiert sich Hammett regelmäßig darüber, wie es mit dem geplan-ten Wiederaufbau vorangeht. „Ich fürchte, wenn es so weit ist, bin ich nicht mehr auf die-sem Planeten“, sagt sie und lacht ins Telefon. „Aber ich finde, es ist schon etwas, dass die über 90-jährige Tochter des Architekten so lebendig ist und noch mit Ihnen über das Pro-jekt sprechen kann.“